Der Bauch von Paris by Emile Zola

Der Bauch von Paris by Emile Zola

Autor:Emile Zola [Zola, Emile]
Format: mobi
Tags: Roman
Herausgeber: TUX
veröffentlicht: 2010-02-21T23:00:00+00:00


Kapitel IV

Marjolin war auf dem Marché des Innocents in einem Kohlhaufen unter einem riesigen Weißkohlkopf gefunden worden, der mit einem seiner großen, umgeschlagenen Blätter sein riesiges Gesicht eines eingeschlafenen Kindes verdeckte. Man wußte bis jetzt noch nicht, welche unglückselige Hand ihn dorthin gelegt haben mochte. Er war schon ein Knirps von zwei oder drei Jahren und sehr dick und sehr lebensfroh, aber geistig so wenig entwickelt, so verschleimt, daß er kaum einige Worte stammelte und nur lächeln konnte. Als ihn eine Gemüsehändlerin unter dem großen Weißkohlkopf entdeckte, stieß sie einen solchen Schrei der Überraschung aus, daß die Nachbarinnen verwundert herbeiliefen, und er, der noch ein Kleidchen trug und in ein Stück Decke gewickelt war, streckte die Hände aus. Er konnte nicht sagen, wer seine Mutter war. Er machte erstaunte Augen, als er sich an die Schulter einer dicken Kaldaunenhändlerin schmiegte, die ihn auf den Arm genommen hatte. Bis zum Abend war der ganze Markt mit ihm beschäftigt. Er hatte sich bald beruhigt, aß Schnitten und lachte allen Frauen zu. Die dicke Kaldaunenhändlerin behielt ihn. Dann kam er zu einer Nachbarin, und einen Monat später schlief er bei einer dritten. Wenn man ihn fragte: »Wo ist deine Mutter?«, machte er eine köstliche Gebärde: seine Hand beschrieb einen Kreis und wies auf alle Händlerinnen zugleich. Er wurde das Kind der Markthallen, lief hinter den Röcken der einen oder der anderen her, fand immer eine Ecke in einem Bett, aß ein wenig überall seine Suppe, wurde gekleidet durch die Barmherzigkeit Gottes und hatte trotzdem tief in seinen durchlöcherten Taschen einige Sous. Ein rothaariges schönes Mädchen, das Heilkräuter verkaufte, hatte ihn Marjolin getauft, ohne daß jemand wußte warum.

Marjolin war fast vier Jahre, als auch Mutter Chantemesse einen Fund machte: ein kleines Mädchen auf dem Bürgersteig der Rue SaintDenis an der Ecke des Marché des Innocents. Die Kleine mochte zwei Jahre alt sein, plapperte aber schon wie eine Elster, wobei sie in ihrem kindlichen Geschwätz die Worte verkehrt aussprach; immerhin glaubte Mutter Chantemesse zu verstehen, daß sie Cadine heiße und ihre Mutter sie am Abend zuvor unter eine Toreinfahrt gesetzt und zu ihr gesagt hatte, sie solle auf sie warten. Dort hatte das Kind geschlafen; es weinte nicht und erzählte, daß es geschlagen werde. Dann ging sie mit Mutter Chantemesse mit, war vergnügt und entzückt über den großen Platz, wo es so viele Leute und soviel Gemüse gab. Mutter Chantemesse, die einen Kleinhandel betrieb, ware eine biedere, sehr mürrische Frau, die schon an die Sechzig ging. Sie liebte Kinder leidenschaftlich, weil sie drei Jungen in der Wiege verloren hatte. Sie dachte, daß »diese kleine krätzige Fose nicht totzukriegen sei«, und nahm Cadine an Kindes Statt an.

Als eines Abends Mutter Chantemesse heimging und Cadine an der rechten Hand hielt, ergriff Marjolin ganz einfach ihre Linke.

»He, mein Junge«, sagte die Alte und blieb stehen, »der Platz ist vergeben ... Du bist also nicht mehr bei der langen Thérèse? Du bist ein toller Schürzenjäger, weißt du das?«

Er sah sie an mit seinem Lachen, ohne sie loszulassen. Sie konnte nicht brummig bleiben, so hübsch und lockig war er.



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